Demos gegen "Rechts": Von wegen "Mitte"
"Wer sind die Menschen, die seit Anfang Januar 2024 jedes Wochenende
deutschlandweit für Demokratie und gegen Rechtsextremismus auf die
Straße gehen? Was treibt sie an? Und wie stehen sie zu einem möglichen
AfD-Verbotsverfahren? Forscher des Exzellenzclusters „The Politics of
Inequality“ an der Universität Konstanz haben dazu über 500 Teilnehmende
an drei Demonstrationen im Südwesten Deutschlands befragt.
Das
Ergebnis: Die Mehrheit der befragten Demonstrationsteilnehmenden ordnet
sich selbst politisch der linken Mitte zu, hat überdurchschnittlich
hohe Bildungsabschlüsse und eine Parteipräferenz für das Bündnis 90/Die
Grünen. WählerInnen der CDU und FDP sind hingegen mit einem Anteil von
etwa 10 Prozent der Protestteilnehmenden deutlich unterrepräsentiert. Zurückzuführen ist dies den Autoren des Policy Papers, Sebastian Koos und Marco Bitschnau, zufolge auf zwei Faktoren:
- zum einen auf strukturelle Hemmnisse und eine allgemein niedrigere Protestbereitschaft;
- zum anderen könnten auch protestspezifische Gründe abschreckend wirken – etwa, dass aus Sicht eines Mitte-rechts-Publikums die Grenze zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus bei den Protesten bisweilen zu verschwimmen droht.
Bezüglich der medial verbreiteten Erzählung, die „schweigenden Mehrheit“ sei nun erwacht, erklärt Marco Bitschnau, Postdoktorand am Exzellenzcluster: „Den Mehrheitsbegriff muss man unter diesen Umständen einschränken. Das Attribut schweigend erscheint aber insofern vertretbar, als dass es sich durchaus um Menschen handelt, die zum ersten Mal auf diese Art und Weise protestieren.“
Weniger als ein Drittel der Demonstrierenden sprechen sich für AfD-Verbot aus
Ein momentan viel diskutierter Vorschlag ist die Prüfung der Verfassungswidrigkeit der AfD und ein daraus resultierendes Parteiverbot. Doch entgegen der Annahme, dass sich in einem gegen die AfD gerichteten Protestkontext leicht ein entsprechender Konsens findet, würden weniger als ein Drittel der Befragten ein solches Vorgehen unterstützen. Die Überlegung, einzelnen AfD-Politikern die Grundrechte zu entziehen, wird hingegen von annähernd zwei Dritteln der Befragten befürwortet.
Insgesamt, so Koos und Bitschnau, ergebe sich in Hinblick auf die
Teilnehmenden, ihre Motive und Einstellungen ein differenziertes Bild.
Im Sinne eines noch breiteren demokratischen Bündnisses stellt sich aber
die Frage nach einer stärkeren Mobilisierung des bürgerlichen Lagers.
„Die OrganisatorInnen können ihren Teil dazu beitragen, indem sie das
verbindende demokratische Element der Demonstrationen noch deutlicher
herausstellen“, so Sebastian Koos, Professor für Soziologie und
Principal Investigator am Exzellenzcluster. Dies sei auch vor dem
Hintergrund der Frage wichtig, inwiefern es gelingen kann, das aktuelle
Engagement in ein längerfristiges Projekt zu überführen und damit den
bereits erzielten symbolischen Erfolg zu verstetigen." - Text/Foto © Dr. Ernst Hoplitschek
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